Monatsarchiv: November 2010

Herman Wouk: Feuersturm – Krieg – Weltsturm

Ich will es vorweg schicken: Diese Trilogie hätte ich eigentlich schon vor über 30 Jahren lesen müssen.  Damals war  Feuersturm schon  ein Weltbestseller und Drehbuch für eine höchst erfolgreiche Verfilmung mit namhaften Hollywoodschauspielern. Heute bekommt man die Bücher nur noch antiquarisch. Zufällig ist mir ein Exemplar von Feuersturm aus der Bücherkiste eines Freundes in die Hände geraten und ich hätte es fast wieder aus der Hand gelegt wegen des bombastischen Titels und des schrillen Coverdesigns der Taschenbuchausgabe des Goldmann-Verlags. Dabei war Herman Wouk für mich kein Unbekannter: Gelesen vor über 40 Jahren hatte ich sein Buch  „ Die Caine war ihr Schicksal“, ein viel gelobtes Drama, das auf einem Kriegsschiff der amerikanischen Marine im 2. Weltkrieg spielt und für mich unter dem Stichwort: Amerikanische Kriegsliteratur einsortiert  war. Und ich gebe zu, wenn die Trilogie sich a la Caine-Schicksal angelesen hätte, ich hätte die Lektüre eventuell abgebrochen.  Aber schon nach wenigen Seiten von Feuersturm hatte diese gewaltige Erzählung mich in ihren Bann gezogen. Über 2000 Seiten in der deutschen Ausgabe  hat man vor sich, wenn man mit der Lektüre beginnt. (In der deutschen Ausgabe sind es drei Bände, in der amerikanischen nur zwei von jeweils ca. 1000 Seiten: „Winds of War“(1970) und „War and Remembrance“(1978)

Ja, was gibt es denn auf so vielen Seiten zu lesen? Eigentlich ist es einfach die  bewegende Geschichte von Victor und Rhoda Henry, ihren Kindern Warren, Madeline und  Byron und deren Familien und Freunden zwischen den Jahren 1939 und 1945. Eigentlich nur sechs Jahre, fast zu wenig für ein Epos. Aber was für sechs Jahre! Die Jahre des zweiten Weltkriegs, in die das Leben der Henrys schicksalhaft verwoben ist.

Die Krise der Welt ist die Krise dieser Familie.

Die Welt lebt noch in einem trügerischen Frieden dahin, als Victor Henry im Frühsommer 1939 als Marineattache an die amerikanische Botschaft in Berlin beordert wird. Ihm wird sehr bald klar, dass er sich in Berlin im Zentrum kommenden Unheils befindet, das  weltweite Auswirkungen haben wird. Sein Auftrag führt ihn an die Brennpunkte des ausbrechenden Krieges in Europa. Seine Funktion erlaubt ihm die persönliche Begegnung mit den großen Akteuren der Zeit, Hitler, Stalin, Churchill und Roosevelt, die der Erzähler Herman Wouk  verblüffend lebendig werden lässt. Victors Frau Rhoda, die Söhne Warren und Byron, beide Marineoffiziere wie der Vater, sowie Tochter Madeline, Radio-Journalistin haben ihre eigenen Lebensvorstellungen und werden aber in den Strudel der politischen Ereignisse hineingerissen. Besonders das Schicksal von Byrons Frau Natalie, einer amerikanischen Jüdin, die bei Kriegsausbruch  bei ihrem berühmten Onkel, dem jüdischen Autor Aaron Jastrow  in Italien lebt, wird der Leser mit beklemmender Spannung verfolgen.

Im Dezember 1941 endet der erste Band der Erzählung: Nach dem Überfall Japans auf die amerikanische Flotte in Hawai und der Kriegserklärung Deutschlands sind die USA aktive Kriegsteilnehmer mit allen Konsequenzen. Der Krieg erreicht Amerika. Victors Sohn Warren kommt bei einem Luftangriff auf die japanische Flotte im Pazifik ums Leben. Victor, jetzt Kommandeur eines Geschwaders der Pazifik-Flotte, lebt fast ausschließlich für seine militärischen Aufgaben. Seine Ehe mit Rhoda geht auseinander. Byrons Frau Natalie und der kleine Sohn Louis  –  zunächst an verschiedenen Orten in Europa interniert, schließlich aber nach Theresienstadt und Auschwitz deportiert, überleben schwer traumatisiert die Hölle der Konzentrationslager. So die Handlung im Zeitraffer.

Was ist nun das Besondere an Wouks Kriegsepos?

Neben dem schon erwähnten bewegenden Schicksal der Familie Henry, ist da die Schilderung dieses Weltkrieges in einer ungeheuren Detailfülle an historischen Fakten, die in diesem Roman so genial verarbeitet ist, dass sie uns Leser nicht überfordert. Wouk lässt die fiktive Familie Henry  auf der realen Bühne des zweiten Weltkriegs leben. Seine Schilderung der Schauplätze und Ereignisse, sowie die Namen und das Verhalten der Akteure dieser Zeit sind historisch verbürgt, und lassen sich sicher dokumentarisch mit Quellennachweisen belegen. Ein Buch voller Fussnoten? Gut für den Leser, dass der Autor das nicht versucht hat!

Aber über diese Detailfülle hinweg spürt der Leser die unerbittliche Dynamik, die den Verlauf dieses Krieges bestimmt. Wouk schafft es, die weltpolitischen Zusammenhänge verstehbar zu machen, die hinter dieser Auseinandersetzung stehen. Für uns Deutsche ist ja dieser Weltkrieg vor allem ein europäischer Krieg. Dass aber dieser Krieg ein wahrer Weltkrieg ist, an dessen Ende ein neues Zeitalter anbricht, in dem die alten europäischen Kolonialmächte ihren Weltmachtstatus endgültig verloren haben, ganz zu schweigen vom Ende deutscher Großmachtsträume, das wird von uns oft übersehen.

Diese national-deutschen Großmachtsträume repräsentiert die von Wouk geschaffene Figur des Generals Armin von Roon,  der nach dem Krieg im Gefängnis eine militärgeschichtliche Abhandlung des 2.Weltkriegs verfasst mit dem Titel: Die Weltherrschaft verspielt. Die Figur von Roons steht stellvertretend für die national-konservativen Kreise des deutschen Militärs, das sich von Hitler hat vereinnahmen lassen, um schließlich zum technischen Vollstrecker der wahnsinnigen Pläne des Diktators zu werden. Der Leser bekommt einen Einblick in das Denken der Generalstäbler und ihrem Verplanen von Menschen und Material für die Kriegsziele.

Wie schon im Schicksal von Byron Henrys Frau Natalie erwähnt, ist das zweite große Thema des Romans die Tragödie der europäischen Juden und der wahnsinnige Massenmord an ihnen. Auch hier besteht Wouk auf historischer Detailtreue. Von beklemmender Eindringlichkeit die Schilderung des Lebens in  den Konzentrationslagern Theresienstadt und Auschwitz, die Selektion an der Rampe und der Marsch der Todgeweihten in die als Duschräume deklarierten Gaskammern. Wir kennen das aus vielen Dokumenten und filmischen Dokumentationen. Aber das durch die geliebten Romanfiguren  mitzuerleben ist deprimierend und schwer zu ertragen. Unerträglich das unsägliche Verhalten der SS-Leute, die diesen Massenmord als Tagesgeschäft betreiben.

Der Leser bekommt eine Ahnung, wie schwer für Juden Flucht und Rettung vor dem Zugriff der Gestapo-Schergen war, wie hoch die Hürden  für eine Aufnahme im westlichen Ausland, das die Mordberichte als übertriebene Propaganda abtut.  Rolf Hochhut  hat  1966  in seinem Bühnendrama: Der Stellvertreter diesen Skandal thematisiert. Und in diesen Oktobertagen 2010  zeigt eine offizielle Dokumentation, wie sehr das Auswärtige Amt in Hitlers Deutschland in das Verbrechen des Massenmordes an den Juden Europas verwickelt und zum Handlanger der Gestapo geworden war. (Anmerkung: Die einzige Kopie von 30 Exemplaren des hochgeheimen Protokolls der sog. „Wannseekonferenz“ vom Januar 1942 wurde in den Akten des AA sichergestellt und ist damit das einzige Dokument, das beweist, dass ab 1942 mit der sog. „Endlösung der Judenfrage“ der faktische Beschluss zur Ermordung aller 11 Millionen Juden in Europa gemeint war.)

Im  Roman erleben das  stellvertretend für die europäischen Juden zwei Männer der Familie Jastrow: Da ist der starke und traditionstreue Rebbe Berel Jastrow aus dem polnischen Stetl  Oswiecim (Auschwitz), der aus dem KZ Auschwitz fliehen kann und im Untergrund  für die Rettung der Todgeweihten kämpft und  dort umkommt. Und da ist sein älterer Cousin, der weltbekannte jüdische Schriftsteller Aaron Jastrow, der als junger Mann sich von der Enge des talmudischen Judentums abwandte und zum Katholizismus konvertierte. Mit seinem Buch „Eines Juden Jesus“ hat er einen Weltbestseller geschrieben.  In Siena in Italien lebend, kann er bis zu seiner Internierung nicht glauben, was ihm immer wieder zugetragen wird, dass Hitler entschlossen ist, die europäischen Juden endgültig zu ermorden. Er kann und will diesen beabsichtigten Holocaust  nicht glauben – genau wie die Mehrheit seiner jüdischen Mitmenschen in Europa –  bis er selbst in die Mühlen der Todesmaschinerie gerät und schließlich  nach Auschwitz deportiert und  in der Gaskammer sterben wird. In dieser tödlichen Bedrohung findet er zum Gott seiner jüdischen Tradition zurück. Bewegend seine Hiob–Exegese für die Mitgefangenen im KZ-Theresienstadt.

Während der Krieg in Europa im Mai 1945 zu Ende geht, steigern sich die Kämpfe mit Japan unter ungeheuren Verlusten bis zum August 1945. Der Leser wird  Teilnehmer der großen Seeschlachten im Pazifik, in denen Japan zum Rückzug aus Südostasien gezwungen wird. Man merkt, dass der Autor Wouk vom Fach ist und das Kriegshandwerk kennt: Er war Marineoffizier bei der US Navy  von 1942-1945. Mit dem  furchtbaren Atomschlag auf Hiroshima und Nagasaki geht der Weltkrieg zu Ende – Japan kapituliert. Aber auch die Sieger müssen sich mit der neuen Situation  arrangieren: Glücklich über den Sieg, aber auch desillusioniert und erschöpft.  Victor und Rhoda, deren Ehe während des Krieges auseinander ging, haben neue Partner gefunden, mit denen sie  ihr Glück versuchen wollen.  Byron hofft  auf eine gemeinsame Zukunft mit der schwer traumatisierten Natalie und dem wiedergefundenen Söhnchen Louis.  Der Leser wünscht es ihnen von ganzem Herzen.

Der Rezensent Arnold Beilmann schreibt 1980: „ Dieser Roman ist eines der größten Erzählwerke unserer Zeit. Wie man heute Homer liest, um etwas über das alte  Griechenland zu erfahren, so werden unsere Kinder in den kommenden Jahren Wouks Epos über die vierziger Jahre lesen. “

Dem ist kaum etwas hinzuzufügen, außer der uneingeschränkten Empfehlung, sich an die Lektüre dieses  Buches zu machen.

K.S.  Nov. 2010