Fünf Jahre nach dem Erdbeben (Fotos)
Donnerstag, 25. Februar 2010 — Es ist 8:30 Uhr als unsere Maschine auf dem Flughafen Bhinaka in Nias landet. Etwa eine Stunde brauchen die Propellermaschinen der Riau-Airlines von Medan (Nordsumatra) bis nach Nias. Endlich wieder in Nias! Unsere Familie wartet schon sehnsüchtig auf uns. Eigentlich sollten wir schon sehr viel eher wieder nach Nias kommen. Inzwischen waren aber doch wieder vier Jahre vergangen seit unserem letzten Besuch. Außer dem Wiedersehen mit unserer Familie in Lahewa, wollten wir auch mit eigenen Augen sehen, was denn in der Zwischenzeit an Wiederaufbau in Nias geleistet worden war.
Damals in 2006, ein Jahr nach dem verheerenden Erdbeben – war noch kaum etwas von Wiederaufbau zu sehen, das diesen Namen verdiente. Die ganz wichtigen Infrastrukturprojekte des BRR, der staatlichen Wiederaufbaubehörde, schienen irgendwie ohne Realisierungsdruck oder eventuell von interessierter Seite blockiert. Ich schrieb damals in meinem Reisebericht: „Ohne die Arbeit der privaten und kirchlichen Hilfsorganisationen brauchte man von Wiederaufbau gar nicht zu sprechen. Das ist Fakt.“ Die Arbeit dieser Organisationen war auf Hilfe im privaten Bereich konzentriert, aber zunehmend abhängig vom Fortschritt der Arbeiten infrastruktureller Art. Wie sollte man z.B. zerstörte Häuser und Schulen in den abgelegeneren Dörfern wieder aufbauen, wenn Straßen und Brücken nicht befahrbar waren, um das Baumaterial dahin zu schaffen?
Auch wenn man in den folgenden Jahren im Internet Berichte von Erfolgen beim Wiederaufbau der Insel zu lesen bekam, die Skepsis wollte nicht weichen: Hatten denn die eingesetzten Hilfsgelder von ca. 1 Mrd EUR tatsächlich zu erkennbaren Ergebnissen geführt? Zumal es auch immer wieder zu berichteten Skandalen bei der Auftragsvergabe und Ausführung gekommen war. Dieser Skepsis konnte nur ein persönlicher Besuch abhelfen. Die Phase des Wiederaufbaus war planmäßig Mitte 2009 offiziell beendet worden. Alle Projekte mussten also bis dato beendet sein. Für uns als Besucher natürlich nicht überprüfbar, ob mit dem investierten Geld nicht mehr zu machen gewesen wäre, und ob das Geld immer in den richtigen Taschen gelandet war. Die persönlichen Beobachtungen beschränken sich also auf die sichtbaren Seiten des wieder aufgebauten Nias.Um es vorweg zu nehmen:
Es tut gut, angenehm überrascht zu werden.
Wir fanden ein Nias vor, wie wir es nicht kannten. Beeindruckend, was in den vier bzw. fünf Jahren geleistet wurde. Nias hatte einen mächtigen Sprung in die zivilisatorische Moderne gemacht und Anschluss an die indonesische Normalität gefunden. Das war unübersehbar. Die unmittelbarste Erfahrung waren die Telekommunikation und und der Straßenverkehr. Ausgebaute und benutzbare Straßen von Nord nach Süd und von Ost nach West. Die Brücken zum großen Teil problemlos befahrbar. Die Qualität des Straßenbelags auf vielen Streckenabschnitten von fast europäischem Standard.
Wir profitierten sofort von diesem neuen Verkehrsstandard: Für die Fahrt von Gunung Sitoli in das 80 km entfernte Lahewa an der Nordspitze der Insel brauchten wir nur eineinhalb Stunden mit dem Auto. Dort in Lahewa waren wir für die nächsten zwei Wochen Gäste im Haus unserer Familie und es war dann genug Zeit, sich ein persönliches Bild vom „neuen Nias“ zu machen.
Die kleine Hafenstadt Lahewa hat eine Reihe attraktiver neuer Schulgebäude vorzuweisen und auch eine neue katholische Kirche, die erbebensicher auf einer Anhöhe über dem alten Kirchplatz erbaut wurde. Auch eine Bank und eine tadellos funktionierende Pertamina-Tankstelle steht den Einwohnern zur Verfügung.Der Pasar–Lahewa ist wieder aufgebaut mit Ausnahme der ehemaligen Hauptgeschäftstraße zum Hafen. Eine Reihe chinesischer Geschäftsleute hat das Interesse an diesem Stadtteil verloren, weil der Hafen offensichtlich nicht mehr die Bedeutung besitzt, die er früher hatte. Die meisten importierten und exportierten Waren kommen inzwischen auf dem Landweg aus dem Hafen von Gunung Sitoli.
Aus dem 80 km entfernten Gunung Sitoli kommen auch jeden Samstag oder Sonntag Hunderte von jungen Leute auf ihren Motorrädern angebraust, um am Strand von Tureloto (6 km außerhalb von Lahewa ) das Wochenende zu verbringen – einfach so! Sind das die Anfänge eines einheimischen Tourismus in Nordnias? Vielleicht ja, und Nordnias hat außer Tureloto noch andere prospektreife „Traumstrände“, die noch zu erschließen wären.
Dagegen ist der Tourismus in Südnias nach dem Erdbeben noch nicht wieder richtig in Gang gekommen. Der international bekannte Surfspot, „Sorake-Beach“ bekommt nur spärlichen Besuch von den Surf-Cracks aus der internationalen Szene. Der Strand hat etwas von seiner ehemaligen Attraktivität eingebüßt. Das Beben von 2005 hat die Insel ja um etwa zwei Meter angehoben, sodass man in Sorake-Beach nun nicht mehr direkt vom weißen Sandstrand in die Welle paddeln kann, sondern das Board unterm Arm zunächst über das flache Strandkorallenriff balancieren muss, um im tieferen Wasser in die Surf-Wellen zu gelangen. An Unterkünften stehen nur sehr einfache Losmen zur Verfügung, die den Namen Hotel eigentlich nicht verdienen. Ein vor 15 Jahren errichtetes Viersterne-Hotel ist bis dato noch nicht wieder in Betrieb genommen.
Die eigentliche Attraktion von Südnias sind ja die herrlich gelegenen Traditionsdörfer auf den nahen Hügeln, in denen bis in die Mitte des vergangenen Jahrhunderts die Megalith-Kultur noch lebendige Normalität war. Auf Grund dieser Attraktionen glaubt man, dass Nias ein ähnliches touristisches Potential zu bieten hätte wie Bali. Ich selbst bin da skeptisch. Selbst wenn mehr Besucher in die Dörfer kommen würden, darf bezweifelt werden, ob die Erwartungen der Dorfbewohner erfüllbar sind, die sich vom Besuchstourismus ihren Lebensunterhalt erhoffen. Viele junge Südniasser glauben nicht an diese touristische Zukunft und haben ihre Dörfer bereits verlassen, um in den großen Städten Indonesiens ihr Auskommen zu suchen. Die Problematik der Überbevölkerung ist besonders in Südnias zu erleben, wo es schon vor vierzig Jahren das Problem der großen Dörfer war, ihre Leute von den Erträgen der eigenen Felder nicht mehr ernähren zu können. Und die Bevölkerung wächst weiter: noch immer haben die meisten Familien vier und mehr Kinder.
Auch wenn sich so viel verändert hat: Der Besuch im Großen Haus, dem „Königshaus“ von Bawömataluo war für mich ein biographisches „Real-Dejavu“: Ich dachte für einen Moment, die Zeit sei stehen geblieben. Nichts schien sich verändert zu haben, seit ich dieses Haus vor vierzig Jahren das letzte Mal besucht hatte. Die derzeitigen Hausbesitzer der Si’ulu-Familie Wau, die uns willkommen hießen, waren zu der damaligen Zeit noch Kinder. Aber man erinnerte sich noch an mich.
Um die Dörfer in ihrer jetzigen Form erhalten zu können, brauchte es eigentlich einen großen Kultur-Fonds, der den Bewohnern helfen müsste, ihre Häuser in der alten Adat-Form zu renovieren. Das ist aber sehr teuer, weil es die dazu notwendigen Hölzer in Nias gar nicht mehr zu bekommen sind. Es gibt in Nias keinen Urwald mehr mit den erforderlichen Baumriesen. Man ist da auf Holz-Importe etwa aus Kalimantan(Borneo) angewiesen. Zum anderen sind z.B. die adligen Hausbesitzer wirtschaftlich nicht mehr in der Lage, einen solchen Hausbau zu finanzieren oder auch die erforderlichen Feste zu bezahlen, die für eine Megalith-Steinsetzung zu veranstalten sind, weil sich die sozial-ökonomischen Strukturen in den Dörfern geändert haben.
Das „Museum Pusaka Nias“ in Gunung Sitoli
Dem Erhalt und der Dokumentation der allmählich verschwindenden Nias-Kultur ist das „Museum Pusaka Nias“ in Gunung Sitoli ( http://www.museum-nias.org ) gewidmet, das vom deutsch-stämmigen Kapuziner P. Yohannes Hämmerle 1997 gegründet wurde, und heute für einheimische und fremde Besucher ein echte Attraktion darstellt. Die Niasser der jüngeren Generation, besonders wenn sie aus den Küstengegenden stammen, kennen ihre eigene Kultur zum Teil nur aus Erzählungen der Älteren. In diesem Museum, in dem neben den Artefakten der niassischen Bildhauerei auch die charakteristischen Haustypen der verschiedenen Nias-Regionen aufgebaut sind, erleben die jungen Besucher ganz plastisch den Reiz der Kultur, der sie ihre spezifische niassische Identität verdanken.
Besonders angetan war ich von dem kleinen Tierpark des Museums, in dem speziell in Nias vorkommende Tiere, wie Laosi, Kancil, der Nias-Hirsch, der Nias-Beo, der Nias-Tukan, viele andere Tiere zu sehen waren, denen die jungen Niasser nicht einmal in Büchern begegnen. Sehr eindrucksvoll auch zwei veritable Nias-Krokodile – wahrscheinlich im Unterlauf der großen Flüsse gefangen. Das Museum, ein beeindruckendes Projekt, das alle Kraft und Aufmerksamkeit von P. Yohannes und seiner 20 Mitarbeiter beansprucht. P. Yohannes , bald siebzig Jahre alt , macht sich ein wenig Sorgen , ob das Museum auch ohne ihn und seine Kontakte wird überleben können. Bleiben wir einfach optimistisch. Das Erdbeben von 2005 hatte auch das Museum schwer beschädigt. Aber heute, durch Spenden der Wiederaufbauhilfe wieder aufgebaut und erweitert, ist es offensichtlich schöner und attraktiver geworden.
Der Entwicklungsschub
Wie schon einmal erwähnt: Das Wiederaufbauprogramm hat einen nicht zu unterschätzenden Entwicklungsschub bis in die Dörfer verursacht. Nicht zu übersehen, überall im Land die neuen Schulgebäude, Sanitätsstationen und einfachen Wohnhäuser. Die verschiedenen Hilfsorganisationen hatten unterschiedliche Konzeptionen für den Aufbau von neuen Wohnhäusern. Auffällig in den Dörfern vor allem in Nordnias die neuen Häuser mit bunten Seitenwänden, deren spezielle Qualität sich erst beim genaueren Hinsehen erschloss: Eine Rahmenkonstruktion aus verzinktem Stahl, die auf unterschiedlichstem Untergrund errichtet werden kann. Sie ist erdbebensicher und kann im Bedarfsfall auseinander geschraubt und an anderer Stelle wieder aufgebaut werden. Das kanadische Rote Kreuz hatte sich in seinem Hilfsprogramm für diese zweifellos teurere, aber sicher nachhaltigere Häuser-Variante entschieden, deren Vorteil von den Leuten sehr schnell erkannt wurde.“ Rumah Canada“ ist ein Schnäppchen!
Zweifellos – der Wiederaufbau hat Geld unter die Leute gebracht – vom Verwaltungsbeamten bis zum Hilfsarbeiter beim Straßenbau. Eine neue Betriebsamkeit hat die Insel erfasst. Zehnausende von Motorrädern Typ Honda Cup (100 ccm) scheinen ständig unterwegs zu sein, um irgendjemand oder irgendetwas von hier nach da zu transportieren. Für uns auffällig, für die Leute aber alltäglich: nicht nur junge und alte Männer sind die Fahrzeuglenker – Frauen, Mädchen mit und ohne Jilbab-Kopftuch steuern ihre Honda mit größter Selbstverständlichkeit zum Einkauf oder zum Verwandtenbesuch ins nächste Dorf. Die Hondas, wie Motorräder in Nias einfach genannt werden, haben das Fahrrad abgelöst und sind die derzeit angesagten Transportesel. Atemberaubend, was man mit ihnen alles transportieren kann. Das ist zwar alles nicht von TÜV und Straßenverkehrsordnung genehmigt, aber die Polizei verhält sich sehr pragmatisch und greift vor allem ein, wenn es zu Unfällen kommt, oder die Polizei Geld braucht. Das ist allerdings häufiger der Fall als den meisten Verkehrsteilnehmern lieb ist. Sowohl die Häufigkeit von Unfällen, als auch die Geldnöte der Polizeibeamten.
Der Anteil der PKWs ist noch relativ gering – der Kaufpreis dafür ist für die meisten Leute unerschwinglich hoch. Eine Honda Cup in indonesischer Ausführung kostet etwa 12 Mio Rupiah(€ 1.000,-). Das scheint über monatliche Ratenkredite irgendwie finanzierbar zu sein. Für einen Toyota Innova, die indonesische Minivan-Variante von Toyota, muss man schon über andere Einkünfte verfügen, um sich das Auto leisten zu können.
Aber im Bereich der Finanzen ist einiges geschehen. Nicht nur dass es Filialen der indonesischen Banken in allen Kreisstädten gibt, auch hat sich vielerorts inzwischen das System der CU (Credit Unions), der Kreditgenossenschaften etabliert. Propagiert und garantiert vor allem durch die katholischen Pfarreien. Die CU–Lahewa z.B., deren veröffentlichte Bilanz 2009 ich einsehen konnte, hatte mit ca. 2800 Kreditgenossen ein Kreditvolumen von 4,5 Mrd Rupiah (= € 375.000,-) eine gewaltige Summe für niassische Verhältnisse. Aber diese Kredit-Genossenschaften ermöglichen ihren Mitgliedern die Finanzierung von Projekten, zu denen sie alleine nicht in der Lage wären.
Für die Arbeiten beim Wiederaufbau wurde vom BRR sowie den nationalen und internationalen Organisationen qualifiziertes Personal in Technik und Verwaltung benötigt, das man damals ja in Nias nicht vorfand, sondern erst anwerben oder ausbilden musste. Mit dem Erfolg, dass es inzwischen eine respektable Anzahl an ausgebildeten Leuten gibt, die jetzt in Nias dringend gebraucht werden, um den technischen Standard für ein modernes Nias zu halten. Sie haben aber das Problem, dass die Regierung ihnen sehr viel weniger Gehalt zahlen kann, als sie es in den vergangenen Jahren von der BRR gewohnt waren. Diese jungen Spezialisten haben in Nias nicht viele berufliche Alternativen, aber ihre Abwanderung wäre für Nias ein herber Verlust.
Vorhersehbare Probleme
Dass dieser gewaltige Entwicklungsschub nicht nur Vorteile, sondern auch Probleme bringen würde, war abzusehen. Das Wiederaufbauprogramm hat einigen Leuten einen Wohlstand beschert, der wohl nur mit Korruptionsverdacht erklärbar scheint. Gar mancher der allzu leichtsinnigen Profiteure verbringt einige Zeit seines Lebens im Gefängnis, nachdem seine Konkurrenten dem Gericht genügend belastendes Material liefern konnten und genügend Geld hatten, es dem Richter vorlegen zu dürfen. In der traditionellen niassischen Ethik wird derjenige hochgeschätzt, der „onekhe“ ist, der schlau genug ist, am Ende Sieger zu bleiben, egal wie. Also wird mit harten Bandagen gefochten. Das soziale Auf und Ab ist brisanter geworden.
Das ehedem ruhige, oft fast lethargische Inselleben ist hektischer geworden. Der Bedarf an elektrischem Strom ist enorm gestiegen.Beleuchtung,Fernseher, Kühlschränke, AC, PC und vor allem Handys benötigen mehr Strom, als die staatliche Stromversorgung PLN bereitstellen kann. Immer wieder bricht unvermittelt das Netz zusammen und niemand kann sagen, wann alles wieder funktionieren wird. Vielleicht bekommt durch diesen Mißstand eine dezentrale alternative Energieerzeugung die dringend gebotene Chance. Solange aber die subventionierten Benzinpreise so billig sind, wirft man lieber den eigenen Strom-Generator hinter dem Haus an. Der knattert und stinkt, ist aber derzeit noch kostengünstiger, als etwa eine leistungsfähige Solaranlage.
Die besseren Straßenverhältnisse mit dem zunehmenden und schnelleren Verkehr verursachen eine Zahl von Verkehrsunfällen mit oft tödlichem Ausgang, die es so eben früher nicht gab. Aber das ist die unmittelbare Kehrseite der angestoßenen Entwicklung. Die Niasser nehmen diese Schattenseite wahr und beklagen sie, aber sie trauern auf keinen Fall den alten Zeiten nach. Dafür besteht auch kein Nostalgiebedarf – das „alte Nias“ am Rande des Indischen Ozeans, isoliert und von der Welt vergessen – , war wirklich kein Paradies, das nun gerade verloren geht, sondern es war eine Kultur, die sozial-ökonomisch an ihren Überlebens-Limit gekommen war. Heute aber besteht die drängende Frage, ob das „neue Nias“ den Level halten kann, der durch das Wiederaufbauprogramm vorgegeben wurde. Man wird sehen, was die nächsten Jahre bringen. Anfang 2010 jedenfalls war für Pessimismus kein Anlass.
K.Sturm, 2. April 2010 –
Einen ausführlicheren Bericht dieser Reise hier
Hier der Bericht über einen füheren Besuch in Nias in 2006 – ein Jahr nach dem Erdbeben 2005 :
2006 – Eschweiler – Nias und zurück
Ein Reisebericht von Klaus Sturm
März 2006 ………wir sind schon über eine Woche zurück aus Indonesien. Bevor die Eindrücke allmählich beginnen zu verblassen, wird es Zeit, ein wenig von unserer langen Reise zu erzählen. In den vergangenen Tagen waren wir in Gedanken noch mehr in Indonesien als hier…die Seele geht ja bekanntlich zu Fuß… inzwischen aber hat die kleine Nati ihre Oma/Opa selbstverständlich sofort in Anspruch genommen und uns mental wieder nach Deutschland geholt. Fünf Wochen zuvor konnten wir nicht schnell genug nach Indonesien kommen…
Anreise
Nach einem guten Flug ab Frankfurt mit einem Airbus von Qatar- Airways landeten wir am Sonntag, 5. Februar um 12.00 Ortszeit in Kuala Lumpur. Die Fluglinie Qatar Airways kann man nur empfehlen: Neue Airbusse, prima Service! Nicht empfehlenswert der Heimatflughafen Doha, der mit dem Passagier-aufkommen derzeitig heftig überfordert ist. Vier Stunden Zwischenstopp um Mitternacht – eine Zumutung: Zu wenig Sitzplätze im Transitbereich, dazu noch zu wenige Toiletten. Dagegen zu viele flugwillige Wüstensöhne mit ihren von Kopf bis Fuß schwarz verschleierten Ehefrauen im Schlepptau… so bitte doch nicht, aber mach mal was!
Dagegen der neue Flughafen von Kuala Lumpur ein architektonisches Schmuckstück, weitläufig, großzügig für den Flugverkehr der Zukunft ausgelegt. Da ließen sich sechs Stunden Warten auf den Anschlussflug schon eher aushalten. Abends um 18.00 Uhr dann der einstündige Weiterflug nach Medan / Sumatra. Raus aus dem klimatisierten Flughafengebäude und rein in das 30° schwülheiße Tropenklima der Großstadt Medan. Willkommen in Indonesien….. aber eigentlich wussten wir ja, was uns erwartete.
Im Hotel „Ibunda“, einem kleinen Hotel in der Innenstadt, trafen wir uns dann mit Ama Rini, Yunis jüngerem Bruder, der extra aus Nias angereist war, um uns abzuholen. Gekommen waren auch Nichte Rini (23) und Neffe Tian (21), beide Studenten, sowie unsere Freunde Ama und Ina Dewi. Große Wiedersehensfreude, gemeinsames Abendessen und Besprechung der Weiterreise nach Nias. Nach einer vom Jetlag gestörten Nachtruhe dann am Montag, Erledigungen und Einkäufe für Nias in der City von Medan. Die Stadt boomt. Es wird überall gebaut und der Verkehr brodelt bis in die späte Nacht. Erst gegen 2.00 bis 3.00 Uhr kommt die City etwas zur Ruhe. Damit ist es dann gegen 4.30 Uhr vorbei, wenn die Muezzins aus allen Lautsprechern der unzähligen Moscheen ihr ‚Allahu akbar’ (Gott ist groß) in den neuen Morgen plärren. Der Aufruf zur Gottesverehrung als kakophonisch multilateraler Angriff auf das kommunale Trommelfell….der Prophet Mohammed hatte sicher noch keine Ahnung von der Leistungs-fähigkeit elektronischer Musikverstärker! Er hätte sicher eine Extrasure für den Sangeswettstreit konkurrierender Muezzins verfasst…
Der erste Tag in Indonesien provozierte bei mir auch gleich den ersten Einsatz des bewährten „Kampfmittels“ Immodium: Obwohl ich auf den Genuss von kaltem Bier wohlweislich verzichtet hatte, reagierte mein Darm mit einer eintägigen Protestdiarrhö gegen die ungewohnten Verhältnisse. Ich wusste, dass das irgendwann passieren würde, aber gleich am ersten Tag, das war doch überraschend.
Am Dienstagmorgen dann die Abfahrt nach Sibolga an die Westküste. Wegen des vielen Gepäcks hatten wir auf einen Flug verzichtet und einen Kleinbus gemietet, der uns alle – d.h. uns beide, Ama Rini, Rini und Tian – zusammen verfrachten konnte – Acht Stunden Autofahrt 300 km quer durch Sumatra bei strahlend schönem Wetter vorbei an dem großen Kratersee des Toba. Obwohl ich die Strecke schon so viel Male zurückgelegt habe, bin ich immer wieder fasziniert von der wilden Schönheit Nordsumatras und seiner bunten Dörfer und Städte. Der Autoverkehr ist stark angewachsen, und die schmale Überland-strasse – noch in holländischer Kolonialzeit für damalige Bedürfnisse projektiert – ist inzwischen gefährlich überlastet. Indonesische Autolenker steuern ihre Fahrzeuge mit atemberaubender Kühnheit, und manchmal klappt’s dann doch nicht mehr… schwere Unfälle häufen sich, obwohl die ‚Polisi’ protokollträchtig auf Helm und Anschnallpflicht kontrolliert.
Gegen 18.00 Abends waren wir dann im Hafen von Sibolga. Hunderte von Passagieren mit Bergen von Gepäck machen sich bereit für die Überfahrt nach Nias. Plätze auf der Fähre hatte Ama Rini schon reservieren lassen. Er ist ein praktischer Organisator, der überall seine Leute hat, sodass wir uns überhaupt nicht um das Reisemanagement kümmern mussten. Nachdem noch einige LKW im Bauch der Fähre vertäut waren, legte das Schiff gegen 20.00 Uhr ab.
Yuni und ich hatten ein Spezialarrangement: die gegen Aufpreis vermietete Kajüte des 1. Steuermanns mit zwei Betten und ein Ventilator, der auch dringend gebraucht wurde gegen die Stauhitze….wir schliefen mit Venti-Kühlung einigermaßen gut und erwachten aber am frühen Morgen mit einer gemeinsamen Erkältung, deren Hustenkatharr mich noch eine Woche in Nias verfolgte. Yuni wurde eigentlich die ganze Reise von ihm geplagt und hat noch ein wenig davon mit nach Deutschland gebracht.
Nias – Gunung Sitoli
Nias präsentierte sich am Mittwoch gegen 6.00 Uhr früh trüb und regenverhangen. Die Leute sagten uns, es wäre die Wochen vorher sehr heiß und trocken gewesen, und der Regen hätte endlich eine will-kommene Abkühlung gebracht. Wir fanden das als Willkommensgruß nicht so toll…
Auch in Gunung Sitoli hatte Ama Rini schon für einen Kleinbus gesorgt, der uns am Hafen abholte. Auf der Fahrt zum Haus von Yunis Cousin konnten wir schon ein wenig von dem sehen, was von der Stadt nach dem Erdbeben übrig war: Viele von Trümmern geräumte Flächen an den Hauptstraßen, an denen sich früher zwei und dreistöckige Geschäftshäuser der chinesischen Geschäftsleute aneinander reihten. Dazwischen auch Bauten, die das Beben offensichtlich überstanden hatten, und hier und dort Zeltquartiere von Obdachlosen, die sich weiterhin durch die öffentliche Hilfe versorgen lassen und diesen Status auch nicht so schnell aufgeben wollen – ein Problem spezieller Art.
Die Stadt soll beim Wiederaufbau nach den Plänen der Regierung ein neues Zentrum bekommen. Davon war allerdings noch nichts zu sehen. Jedoch waren überall provisorische Verkaufsstände errichtet, und die Straßen voller Menschen und Verkehr. Das Leben hat sich weitgehend auf einem neuen Level eingespielt.
Wir wollten an diesem Tag noch bis Lahewa, Yunis Heimat, durchkommen, blieben deshalb nur zu einem kurzen Besuch bei Yunis Cousin Ama Agus und starteten gegen 10.00 Uhr endlich in Richtung Nordnias. Die Strasse war etwa 20 km weit für Autos einigermaßen gut befahrbar. Danach ging es die nächsten 60 km bis Lahewa mit gelegentlicher Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h weiter. Erwähnenswert besonders der Zustand der vor Monaten vom Militär errichteten Behelfsbrücken, die in Deutschland samt und sonders für jeglichen Verkehr polizeilich gesperrt würden. Die Chauffeure befahren diese gefähr-lichen Wege täglich mit bewundernswertem Geschick und Gleichmut. Erstaunlich, was Mensch und Maschinen alles ertragen. Für die letzten 6 km zwischen Lafau und Lahewa hätte die Straßen-verkehrsbehörde täglich eine Tracht Prügel verdient, solange sie nicht in der Lage ist, 10 Lastwagen Steine/ Kies in die knietiefen Löcher dieser Provinzstraße zu kippen. Von den allmählich nicht mehr befahrbaren Behelfsbrücken ganz zu schweigen.
Nias – Lahewa
Gegen 13.00 Uhr war Lahewa dann endlich erreicht. Seit 1999 waren wir nicht mehr hier. Große Freude und viele Tränen beim Wiedersehen mit Yunis Familie in Lahewa. Alles war vorbereitet für unser Kommen. Wir staunten: Ama Rini hatte das Elternhaus, das er jetzt mit seiner Familie bewohnt, soweit wieder aufgebaut, dass wir als Gäste gut untergebracht werden konnten. Drei Wochen vor unserer Ankunft war der Wiederaufbau so weit fertig gestellt, dass die Familie wieder im Haus übernachtete, was sie seit Ende März 2005 aus traumatischer Angst vor nächtlichem Erdbeben nicht mehr getan hatte. Unser bevor-stehender Besuch hatte diesen Schritt in die Normalität provoziert.
Yunis Schwester- Ina Risna – hatte sich extra eine Woche Urlaub genommen. Sie ist Oberschwester an der örtlichen Poliklinik. Ihr Haus war schon etwas länger wieder aufgebaut. Mit der Einweihung, die in der folgenden Woche stattfinden sollte, hatte man extra auf uns gewartet. Wir hatten uns gefreut, endlich ihre jüngste Tochter, die kleine 5-jährige Yesti, zu sehen, die wir noch nicht kannten. Yesti kannte uns nur von Fotos und ließ sich jetzt auch Zeit mit der Annäherung. Erst nach einer Woche war sie bereit, uns als selbstverständliche Familienmitglieder zu akzeptieren.
Der erste Abend wurde sehr lang. Es gab so viel zu erzählen und zu berichten. Wir hatten Fotos von der kleinen Nati und unseren Kindern dabei, deren Grüße wir übermittelten, ( man hatte gehofft, dass sie auch mitgekommen wären.. usw. )
Aber zwei Themen waren von besonderer Bedeutung: Das Erdbeben und der plötzliche Tod des Bruders Ama Fati, der am 13. Dezember 2005 in Kalimantan gänzlich unerwartet an einem Herzversagen gestorben war. Zu seiner Beerdigung drei Tage später in Yogyakarta (Jawa) konnten die Geschwister Ama Rini und Ina Risna gerade noch rechtzeitig anreisen. Eigentlich wollten sich alle vier Geschwister – einschließlich Ama Fati – nach den Ereignissen des Erdbebens in der Heimat Lahewa treffen, um gemeinsam das Grab der Eltern zu besuchen. Das war so im Oktober 2005 noch mit Ama Fati abgesprochen. Nun musste für ihn selbst ein Totengedenken (Doa syukuran) in seiner Heimat Lahewa festgesetzt werden. Es sollte am folgenden Samstag, dem 11. Februar gehalten werden. Etwa 200 Gäste folgten der Einladung, für die nach der Adat (überliefertem Recht) drei Schweine geschlachtet/geopfert wurden. Das war die Familie dem Ansehen und Rang des ältesten Bruders schuldig. Für die Geschwister eine selbstverständliche Geste dem toten Bruder gegenüber.
Das erlebte Erdbeben kam in den zwei Wochen unseres Besuchs bei allen möglichen Gelegenheiten zur Sprache, besonders dann, wenn plötzlich eines der kurzen Nachbeben zu spüren war. Das passierte mehrere Male. Aber man nahm das bisschen Zittern gar nicht mehr ernst, lachte und erzählte dann von jener furchtbaren Nacht des 28. März 2005, in der die Erde so stark schwankte und bebte, dass sich während der Erdstösse niemand mehr auf den Beinen halten konnte, und mit einem gewaltigen vertikalen Ruck die mehrstöckigen Häuser zum Einsturz kamen. Das Beben erreichte in jener Nacht die Stärke von 8,7 R. Drei Tage wollte sich die bebende Erde danach nicht beruhigen.
Auch wenn dann abends die Stromversorgung wieder einmal für Minuten oder mehrere Stunden zusammenbrach, dann erinnerte man sich der plötzlichen Dunkelheit der Erdbebennacht, in der man beim Schein von Taschenlampen versuchte, Angehörige zu finden oder Verschütteten und Verwundeten zu helfen, immer in der Angst vor einer drohenden Tsunami.
Und diese Angst war begründet: das Meer hatte sich weit vom Strand zurückgezogen und eine zurück-kommende Flutwelle war zu erwarten. Die kam Gott sei Dank aber nicht. Was man erst später ungläubig feststellen konnte: das Seebeben hatte den Norden der Insel Nias um ca. 2 Meter angehoben, was zum Zurückweichen des Meeres geführt hatte. Ich habe an mehreren Tagen die Nord- und Weststrände von Nordnias besucht und diese neuen Strandlinien fotografiert. Besonders folgenreich war der angehobee Meeresboden für den Hafen von Lahewa: Der gerade neu fertiggestellte Pier ist eingestürzt, und die Schiffe müssen wegen der zu geringen Wassertiefe weit draußen ankern. Die Ladung muss mit kleinen Booten geleichtert werden – ein umständliches und die Preise der Waren verteuerndes Unternehmen. Der Neubau des Kais soll noch dieses Jahr erfolgen….
In den Tagen unseres Besuchs trafen wir immer wieder Freunde und Bekannte, die durch das Erdbeben nicht nur Hab und Gut, sondern auch Angehörige verloren hatten. Über 40 Tote hatte Lahewa zu beklagen. Und die Überlebenden hatten unglaubliche Geschichten ihrer Rettung zu erzählen, wie Ina Erna, Geschäftsführerin der Palmölfabrik am Hafen, die kopfschüttelnd erzählte, wie sie durch einen Geldtresor gerettet wurde, der die fallende Betondecke aufgehalten hatte. Sie wollte während des Erdbebens den Tresorschlüssel in Sicherheit bringen, für den sie verantwortlich war. Wäre sie in ihrem Zimmer geblieben, so wäre sie wahrscheinlich tot, wie die anderen drei Hausangestellten, die von der einstürzenden Decke erschlagen wurden.
Wayin, ein alter Freund von uns, verdankt sein Leben zwei Kühlschränken, die die einstürzende Betondecke aufgehalten hatten, und seinem Bruder, der ihn nach Stunden mit Hammer und Meißel aus den Betontrümmern befreien konnte. Vater und Mutter starben im Schlafraum nebenan. Die Schwester starb Wochen später an Tetanus, den sie sich durch eine Schnittwunde an der Hand zugezogen hatte.
Ein sechs Monate altes Baby, dessen Eltern und Geschwister von den einstürzenden Mauern erschlagen wurden, überlebte drei Tage in einer Trümmerlücke, ehe man es aufspürte und ins Krankenhaus nach Medan ausflog. Das Kind lebt heute gesund im Dorf der Großeneltern einige Kilometer außerhalb von Lahewa.
Diese und ähnliche Geschichten sind präsent, auch fast ein Jahr nach der Katastrophe. Beeindruckend und berührend mit welcher Kraft und Zuversicht viele Leute mit ihrem wahrlich nicht leichten Schicksal umgehen. Leben und Tod sind ganz nah beieinander. Gott der Herr des Schicksals und muss wissen, was er tut, so die Überzeugung der Menschen. Fast ein Jahr danach sind die Tränen getrocknet und man hofft auf die sich ereignende Zukunft.
Nias – Lahewa im Februar 2006
Die Aufbauarbeit der Hilfsorganisationen (NGO) zeigt Wirkung.
- Lahewa hat wieder fließendes Wasser aus der Wasserleitung. OXFAM, eine australische Hilfsorganisation, hatte schon die Wasserversorgung wieder in Ordnung gebracht. – Die meisten Haushalte sind wieder an die elektr. Stromversorgung angeschlossen. – Ein Mobilfunkanbieter hat den Ortsbereich an das Netz angeschlossen, und man kann per Handy mit dem indonesischen Inland telefonieren.
- Nias ist in den letzten Jahren vom Fahrrad auf Honda umgestiegen. Groß und Klein, mit und ohne Führerschein fährt Motorrad. Ein Volk von Querfeldein–Fahrkünstlern bewältigt unsägliche Wegbedingungen, die ganze Familie im Huckepack, wenn nötig. Es gibt auch professionelle Motorradtaxifahrer, die im Volksmund RBT genannt werden (Rakyat Banting Tulang = Volk hält die Knochen hin) Sie sind die absoluten Honda-Cowboys und fahren dich überallhin, vorausgesetzt der Preis stimmt. Auch Schwager Ama Rini mit mir auf dem Rücksitz zeigte auf einer Fahrt nach G.Sitoli in zwei Stunden, wozu er und seine neun Jahre alte 250 ccm Honda im Stande sind. Ein Bravourritt über Stock und Stein. Ich erwies mich als einfühlsamer Copilot und wurde dafür ausdrücklich gelobt.
- Der Besuch in Gunung Sitoli verstärkte in mir den Eindruck, dass der Wiederaufbau in Bewegung kommt. Im Stadtgebiet war eine moderne Straßenbelag–Maschine dabei, die Straßen mit belastungsfähigem „Hotmix“- Asphalt zu versehen.
- Die Arbeit von ca 60 Hilfsorganisationen zeigt Wirkung, auch wenn man bei näherem Hinsehen wahrscheinlich einiges zu kritisieren hätte. Aber über ihre Projekte kommt auf vielen Ebenen Kapital und Arbeit in den kleinen Wirtschaftskreislauf und erzeugt das Gefühl eines einsetzenden Aufschwungs. Damit sind natürlich die allgemeine Unterentwicklung, die Armut und das Problem der Überbevölkerung nicht über Nacht zu lösen. Aber psychologisch wichtig ist ja auch das Gefühl, dass sich etwas tut.
Die neue Regierung des wiedergewählten Bupati Binahati Baeha – aus der Pfarrei Lahewa stammend – wird sich an diesen Erwartungen messen lassen müssen. Im Wahlkampf, den wir direkt miterlebten, wurde wie überall in Wahlkämpfen, Gewaltiges versprochen. Den Beweis, dass man zu einer soliden Wiederaufbauarbeit fähig ist, ist die entsprechende Behörde BRR bis jetzt noch schuldig geblieben. Bei aller Skepsis bleibt doch nur die Hoffnung, dass in 2006 endlich die Regierungsprojekte zu greifen beginnen.*)
Für Lahewa waren bis jetzt nur Erfolge der NGOs erkennbar und belegbar:
- Das Holzhausbauprogramm der französischen Hilfsorganisation ACTED, mit dem Hunderte von zerstörten Häusern ersetzt werden sollen, ist in vollem Gange. Überall sind die neuen ACTED- Häuser zu sehen. Pro Haus werden ca. € 2.500,- verbraucht. Das bringt Arbeit und Geld unter die Leute.
- Das evangelische Hilfswerk LAZARUS baut in Lahewa die staatliche Mittelschule und ein katholisches Jungeninternat.. Ein deutscher Ingenieur führt die Bauaufsicht. Die Projekte werden in wenigen Wochen fertiggestellt sein. Weitere Projekte sind in anderen Teilen von Nias in Arbeit.
- Die katholische Grundschule SD DAYA BARU, 1971 von mir gegründet, wird neu gebaut. Über der Zufahrt zur Baustelle hängt ein Spanntuch: AKTION DEUTSCHLAND HILFT….. Mein Nationalgefühl gönnt sich eine stolze Freudeminute. Sponsoren aus Südtirol und Deutschland haben die Finanzierung übernommen. Das alte Schulgebäude von 1973 war zu schwer beschädigt, um noch weiter benutzt zu werden. Schade um die schöne Schule, in die ich vor 30 Jahren viel Arbeit und Herzblut investiert hatte. Ich tröste mich mit dem Gedanken, dass die neue Schule viel moderner und schöner werden wird. Zurzeit werden die 180 Kinder in einem mit Palmblättern überdachten Provisorium unterrichtet, das hoffentlich bald beendet sein wird. **)
- Kindern dieser Schule kommt auch der Erlös einer besonderen Spendenaktion über ca. € 2000,- aus Aachen zugute: Die indonesischen Studenten der TH Aachen hatten zusammen mit der Kath. Hochschulgemeinde (KHG) kurz vor Weihnachten 2005 einen wunderbaren Kulturabend veranstaltet, dessen Erfolg ausschließlich Schulkindern zukommen sollte, deren Unterrichtsbesuch situationsbedingt besonders gefährdet war – eine sehr präzis plazierte Hilfsaktion, die auf ganz konkreten Bedarf gerichtet war.
- Über den Neubau der zerstörten kath. Pfarrkirche St. Fidelis ist sich die Gemeinde noch nicht mit dem Bischofsvertreter P. Barnabas einig. Die Gemeinde hätte die Kirche gern auf einer Anhöhe erbaut. Die Diözese macht Kostenprobleme geltend und will auf den alten Fundamenten wieder aufbauen. Ich habe mich bei P. Barnabas für die Kirche auf dem Berg eingesetzt, weil das auch der Plan war, der vor 30 Jahren schon hätte realisiert werden sollen. Man wird hören, was sich ergibt. Inzwischen wird der Gottesdienst in einer mit Palmblättern gedeckten Notkirche gehalten. Der Raum ist von der Gemeinde ansprechend hergerichtet, und wir erlebten an zwei Sonntagen ein volles Haus und sehr schöne Gottesdienste. Die Gemeinde ist groß geworden und hat inzwischen ein engagiertes Vorstandsgremium von Leuten, die ich noch als Kinder kannte. Vorsitzender: Ama Rini , ohne den scheinbar nichts läuft. ***)
Hauptberuflich ist Ama Rini ja Schulleiter der staatl. Grundschule von Lahewa.-Zentrum – übrigens auch der Chef seiner Frau, die an derselben Schule unterrichtet. Seine Schule, auch zum größeren Teil zerstört, hat ca 400 Kinder mit Unterricht zu versorgen. Ein Teil seiner Schüler wird noch unter den allmählich verrottenden UNICEF- Zelten unterrichtet. Und man hofft sehnlich auf den fälligen Neubau. Aber das Staatliche Wiederaufbauprogramm lässt auf sich warten, obwohl überall zu lesen ist, dass die Projektgelder bereit stünden.Man scheint sich in den zuständigen Gremien wohl noch nicht einig zu sein, wie viel man ohne Korruptionsvorwurf in der eigenen Tasche verschwinden lassen kann. Es ist viel Geld für den Wiederaufbau versprochen, und da ist mit Begehrlichkeiten und Beschaffungstricks natürlich zu rechnen. Der Kampf der politischen Klasse für ein zukünftiges Nias, ist auch ein Kampf um die eigene persönliche ökonomische Zukunft – mit dem Rücken zur Wand, den Blick aber immer fest auf den Geldschrank gerichtet….man hat auch kaum eine andere Wahl als Regierungsbeamter mit den lächerlichen legalen Einkünften…(z.B. Grundschullehrer verdienen monatlich ca. € 120,–)
Fazit zur Zeit unseres Besuchs Februar 2006: Ohne die Arbeit der privaten und kirchlichen Hilfs-organisationen brauchte man von Wiederaufbau gar nicht zu sprechen. Das ist Fakt. Für Yuni und mich gingen die intensiven Tage im Kreis der Familie und Freunde in Lahewa zu Ende. Für Dienstag, den 21. Februar waren Tickets für den Nachmittags-Flug von Nias nach Medan geordert, und es galt Abschied zu nehmen. Ama Rini, Ina Risna und zwei Cousins begleiteten uns noch bis zum Flughafen Bhinaka, ca. 20 km südlich von Gunung Sitoli. Uns wurde noch einmal aufgetragen, den Dank und die Grüße der Familie in Nias an unsere Familien in Deutschland zu überbringen und allen für ihre großherzige Hilfe zu danken.
Java – Yogya
Nach Flug und Übernachtung in Medan der Weiterflug über Jakarta nach Yogyakarta in Zentraljava, um uns mit der Familie von Yunis verstorbenem Bruder Ama Fati zu treffen und sein Grab zu besuchen. Ein Besuch, der doch sehr zu Herzen ging. Ama Fati war im Dezember 2005 unerwartet an einem Schlaganfall verstorben. Seine Frau, Ina Fati muss mit ihren 4 Kindern alleine zu Recht kommen. Fati (25) als Sängerin mit ihrer Band viel unterwegs, sorgt schon einige Zeit für sich selbst. Rani (23) steht vor dem Ende ihres Psychologie-Studiums. Dita (20) hat gerade mit dem Studium der Betriebswirtschaft begonnen und der „kleine“ Bruder Willi (mit 16 schon 1,75 m groß) besucht die SMA, die gymnasiale Oberstufe. Sie alle tragen ihr Schicksal sehr tapfer und lassen sich von der Trauer nichts anmerken. Wir hatten uns 2001 zum letzten Mal gesehen und die Wiedersehensfreude in dieser besonderen Situation war besonders tröstend für uns alle. Ina Fati ließ uns spüren, wie gut ihr unser Besuch tat.
Besonders freute sich auch Heri, Ama Rinis zweitältester Sohn, der von knapp einem Jahr von seinem Onkel Ama Fati zum Architekturstudium von Nias nach Yogya geholt worden war. Nach dem uner-warteten Tod des Onkels fürchtete er ein um seine Studienzukunft. Er ist ein guter Student, und unser Besuch mit den Grüßen des Vaters aus Nias machte ihm Mut zum Weiterstudium. Außerdem ist er für Wili ein ganz wichtiger großer Bruder geworden.
Fati hatte eine Straßenecke weiter in dem kleinen, blitzsauberen Hotel KUSUMA ein Zimmer gebucht, das bequem zu Fuß zu erreichen war. Die folgenden zwei Tage vergingen wie im Flug. Da war der gemeinsame Besuch am Grab von Ama Fati auf dem christlichen Friedhof von Yogya, ein Dankesbesuch bei einer befreundeten Niasfamilie, die sich sehr um die Regelung von Ama Fatis Beerdigung gekümmert hatte, „Inspektion“ von Heris Studentenquartier am südlichen Ende der Stadt… Es waren so viele Dinge zu besprechen, von Nias und Deutschland zu berichten. Gespräche mit den Mädchen über persönliche Zukunftspläne, Einkäufe von Batik -Textilien in den einschlägigen Geschäften, eine Spezialität von Rani und Fati. Zum Abschluss noch ein gemeinsames Essen in einem echt javanischen Restaurant mit exzellenter javanischer Küche… im Rückblick wie ein Film im Zeitraffer.
Java – Surabaya
Aber der Flug nach Surabaya für Samstag, 25. Februar war gebucht. Nach herzlichem Abschied von Ina Fati und den Kindern, ein kurzer Flug und wir fanden uns im Airport von Surabaya wieder, wo uns Khae und Lian, unsere alten Freunde aus Aachener Zeiten (1978 ff) erwarteten und uns zu ihrem Haus brachten., wo genügend Kinderzimmer als Gästezimmer frei waren. Ihre drei Kinder inzwischen schon alle aus dem Haus, zwei in Sydney und eines in Vancouver/ Kanada.
Lians Geschwister, drei Brüder, alle mit Studienabschlüssen der TH Aachen, inzwischen sehr erfolgreiche Geschäftsleute, verwöhnten uns in den folgenden Tagen mit Einladungen in die Insiderrestaurants der Kenner chinesischer Küche. Dazwischen ein Tag in der ‚Vila Hebron’, dem Ferienhaus der Familie in Trawas, einer Art Kurort im kühlen Bergland, westlich von Surabaya. Wir waren vier Tage glückliche Gäste der Großfamilie Ludong. Das Leben kann so schön sein im Kreise von Freunden…
Malaysia – Langkawi
Unser Visum für Indonesien lief ab. Die Rückreise in Etappen begann am 1. März mit dem Flug von Surabaya über Kualalumpur nach Langkawi in Nordmalaysia. Die acht Tage in einem einfachen Chalet am Tropenstrand der Ferieninsel waren gut zum Abspannen nach den vielen intensiven Besuchstagen bei Familie und Freunden. Chillout total an einem Bilderbuchstrand…..wenn es denn über Tag nicht so sonnenheiß gewesen wäre. Sonnenbrand muss ja nicht sein. Das 28° warme Meer war zum Abkühlen nicht geeignet. Trotzdem sind wir reichlich geschwommen und haben unsere Spaziergänge auf den kühleren Abend verlegt.
Unsere Bereitschaft zur Rückkehr nach Deutschland wuchs, als eine nicht näher bekannte Sorte von Sandflöhen Yunis süßes Blut entdeckten und sich über sie hermachten… Und Juckreiz ist bekanntlich weniger erfreulich als Liebreiz. Jedenfalls trotz Kenntnis des zu erwartenden Wetters (sprich: Kälte) in Deutschland, traten wir bereitwillig am Freitag Mittag unseren Rückflug an und waren nach zwei Zwischenstopps im schönen Kualalumpur und im langweiligen Doha nach 31 Stunden am Samstag-morgen dem 11.März 6.30 Uhr wieder in Frankfurt, packten uns fröstelnd in die mitgeschleppten Winterjacken, bestiegen einen ICE und wurden zwei Stunden später von Christof und Julia am Bahnhof Eschweiler abgeholt.
Ein paar Stunden später sorgte Klein-Nati dafür, dass Oma und Opa sich nicht nur in Reiseerinnerungen verloren, sondern sehr glücklich und besorgt die ersten Gehversuche ihrer Enkelin bewunderten. Das hatten wir doch fünf Wochen vermisst…!
Aus Eschweiler grüßen Klaus & Yuni
Fotos zu Nias 2006
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Nachtrag März 2007:
*) Inzwischen gibt es gute Nachrichten aus Nias über den Wiederaufbau. Der staatlich koordinierte Wohnungsaufbau ist überall angelaufen. Schulen und Polikliniken sind im Bau. Der Bau-Boom hat die Baumaterialien sehr verteuert, und die Bauaufsicht hat alle Hände voll zu tun, um die Einhaltung der Projektauflagen zu kontrollieren.
Der Strassen- und Brückenbau kommt gut voran – so „gut“, dass der schneller gewordene Autoverkehr vermehrt zu schweren Unfällen führt, die früher eher selten waren. In zwei Jahren 2009 soll der Aufbau der Infrastrukturvorhaben beendet sein, für die dann die stattliche Summe von ca. € 1 Mrd. verbraucht sein wird.
**) Der Neubau der SD DAYA BARU ist fertiggestellt, und seit Februar 2006 werden die Kinder in ihrem neuen Schulgebäude unterrichtet.
***) Mit dem Kirchenneubau wurde Mitte 2006 begonnen. Die Kirche wird auf der von der Gemeinde favorisierten Anhöhe errichtet, und den Gemeindemitgliedern werden viele Tage und Stunden Gemeinschaftsarbeit abverlangt. Man will bis zum September 2007 fertig sein