Monatsarchiv: Januar 2022

MACHT IN GOTTES NAMEN ?

AMERIKAS GOTTESKRIEGER von Annika Brockschmidt

Vorausgeschickt sei ein Zitat eines Textes, ganz am Anfang des Buchs, der die fatale Aktualität der im Buch beschriebenen Problematik aufzeigt:

  • „Danke, dass du den Vereinigten Staaten erlaubt hast, wiedergeboren zu werden. Danke, dass du erlaubt hast, uns der Kommunisten, der Globalisten und Verräter in unserer Regierung zu entledigen. Wir lieben dich und wir danken dir. Wir beten in Christus‘ heiligem Namen.“

Jacob Chamsley, ein Angreifer beim Sturm auf das Kapitol, in der Senatskammer innehaltend zum Gebet.

Dieses Gebet wurde gesprochen, während man draußen auf Polizisten einprügelte und schon einen Galgen für den Vize- Präsidenten Mike Pence aufgerichtet hatte. Das geschah am 6. Januar 2021, als die gültige Wahl Joe Bidens zum Präsidenten der USA verkündet wurde.

Vielleicht erinnern wir uns noch an unser verständnisloses Kopfschütteln, als 2016 der narzisstische Selbstdarsteller Donald Trump zum Präsidenten der USA gewählt wurde und wir uns alle fragten, wie so etwas in der demokratischen Führungsmacht des Westens denn möglich geworden sei, und wir glauben wollten, dass das nur ein demokratischer Ausrutscher gewesen sein konnte, der über kurz oder lang sein Ende finden würde. Die Wahlen von 2020 schienen solchen Ansichten fast recht zu geben. Zuvor aber mussten wir vier Jahre Trump erleben und danach seine schamlose Kampagne von der „gestohlenen Wahl“, die in der chaotischen Erstürmung des Kapitols in Washington durch seine Anhänger am 6. Januar 2021 ihren scheinbar spontanen Ausdruck fand.

Wer das aufschlussreiche Buch von Annika Brockschmidt gelesen hat, dem wird leider deprimierend klar, dass weder die Wahl Trumps 2016 ein bedauerlicher demokratischer Ausrutscher – noch die Erstürmung des Kapitols eine spontane Aktion war, sondern der alarmierende Ausdruck einer gefährlich gespaltenen Nation war, der eine gemeinsame Ansicht über ihr Amerika verloren gegangen scheint.

Was wir nämlich jetzt erleben, ist der lang vorbereitete Angriff der „Religiösen Rechten“ auf Amerikas Demokratie, wie sie bisher verstanden und akzeptiert wurde, in der auch die Trennung von Staat und religiöser Überzeugung ein wichtiges Merkmal war. Man muss Brockschmidts Buch gelesen haben, um eine Vorstellung zu bekommen, was sich zur Wahl Trumps als gesellschaftliches Potenzial unter dem Banner der „Religiösen Rechten“, einem „Christlichen Nationalismus Amerikas“, alles zusammen- gefunden hat. Es seien im Folgenden die wichtigsten Akteure genannt.

  • Das sind vor allem zahlreiche christliche Gruppierungen, die der radikalen Überzeugung sind, dass das liberale Amerika re-christianisiert werden müsse., da es inzwischen von Feinden des Christentums regiert werde. Dieser göttliche Auftrag wird seit Jahrzehnten tagtäglich Amerikas Familien von den Fernsehpredigern der christlichen Medien eingebläut.  
  • Da sind sektiererische Gruppierungen evangelikaler Provenienz, die überzeugt sind, dass wir in einem finalen Drama einer apokalyptischen Zeit lebten, und das offizielle Amerika in der Hand von satanischen Mächten sei, die man auch mit kriegerischen Waffen bekämpfen müsse, um der Macht Satans Einhalt zu gebieten, damit die Wiederkunft Christi stattfinden könne.      
  • Da sind Anhänger der rassistischen „White Supremacy“- Ideologie („Vorherrschaft / Überlegenheit der Weißen“), die hinter dem Slogan MAGA („Make America Great Again“) ein „White America“ verstehen, da sie befürchten, in ein paar Jahren von einer USA der Farbigen überstimmt zu werden. (Die Wahl Obamas 2008 als Alarmsignal.)
  • Dabei sind Organisationen von radikalen Abtreibungsgegnern aus allen Konfessionen.
    •           
  • Dabei sind Vereine zur Verteidigung konservativer Geschlechterrollen im Kampf gegen Homosexualität von Lesben und Schwulen, für das Verbot der biologischen Evolutionslehre an öffentlichen Schulen.
    •                                                                                                  
  • Und da sind sehr einflussreiche, elitäre Zirkel finanzstarker Geschäftsleute, die alle staatlichen Eingriffe in soziale und wirtschaftliche Belange ablehnen, die ihren Geschäften zuwiderlaufen, (z.B. Klimakrise) und sich dieser Bewegung angeschlossen haben.

Alle diese Gruppen glauben sich in der republikanischen Partei entscheidend vertreten und in Donald Trump den richtigen Anwalt ihrer Ansichten und Interessen gefunden zu haben. Und Trump bedankte sich bei ihnen, indem er in seiner Regierungszeit einflussreiche Vertreter dieser Gruppen in Justiz und Regierung einsetzte. Obwohl sich Trump selbst nie als religiös bekannte, sahen und sehen seine religiösen Anhänger in ihm den von „Gott gesandten Retter Amerikas“ und die Republikanische Partei den aussichtsreichsten Kandidaten ihrer Interessen. Und Trump gefiel und gefällt sich in dieser Rolle, in dem er seiner Anhängerschaft immer wieder versichert, dass sie das wahre Amerika seien, das es zu verteidigen gälte.

Fazit

Wer die jüngste Episode der USA und die kommenden Auseinandersetzungen verstehen möchte, dem sei die Lektüre von Annika Brockschmidts Buch dringend empfohlen. Auch wenn man darauf hinweisen muss, dass das im Buch beschriebene Amerika nur die eine Hälfte des politischen Amerika darstellt, ist es eben bedauerlicherweise doch die Hälfte des Wahlvolks der Vereinigten Staaten.

Dem Leser macht es gelegentlich doch Mühe, sich die vielen Namen und Details zu merken, die in den verschiedenen Kapiteln eine Rolle spielen. Diese vielen Details jedoch bilden aber auch die dokumentarische Stärke des Buches. (Von den 415 Seiten des Buches sind 62 Seiten Anmerkungen / dokumentarische Belege) Aber unbeschadet des Fleißes und dem Recht der Autorin auf diese Ausführlichkeit – vielleicht hätte eine Straffung der Kapitelthemen die Lektüre des Buches etwas erleichtert.  Trotzdem aber fünf Sterne für dieses wichtige Buch.                     

(KS / 01-2022)

NB. siehe auch in „Good luck, Joe!“ die Analyse Alexander Schwabs zur polit-religiösen Situation der USA.