Was für ein Leben!
Nicht nur ein Leben, sondern sieben seien es gewesen, die Claire Hake gelebt habe, bis sie im Alter von 90 Jahren starb. Und wenn man die Biographie dieser Frau gelesen hat, dann kann man diese Einteilung durchaus nachvollziehen. Ein Thema gibt es jedoch, das alle diese Leben überdauert: die beeindruckende Geschichte „einer Liebe über Zeiten und Kontinente“, wie der Verlag auf der Umschlagsrückseite schreibt.
Mitte der zwanziger Jahre reist die junge Schweizerin Claire aus St. Gallen nach Sumatra und begegnet auf einer abgeschiedenen Tabakplantage inmitten des Urwalds ihrer großen Liebe Gustav Hake, einem deutschen Pflanzer. Ihr Leben auf der Plantage mit Mann und später zwei Kindern ist zwar entbehrungsreich, aber glücklich – Claire nennt diese Zeit später das Paradies – bis im entfernten Europa der Krieg ausbricht. Die Kinder sind glücklicherweise zu diesem Zeitpunkt bei Verwandten daheim in Deutschland. Denn als die Wehrmacht in Holland einfällt, kommt es überall in der holländischen Kolonie „Nederlands Indie“, dort wo Deutsche leben und arbeiten, zu unglaublichen Szenen. Gestern noch geschätzte Mitarbeiter und Nachbarn, werden sie jetzt beschimpft, gedemütigt, enteignet und interniert. Auch Claire – seit ihrer Heirat mit deutschem Pass – und Gustav sind betroffen. Sie werden getrennt, in verschiedene Lager gebracht und sich erst sieben Jahre später wiedersehen.
Claire wird von den holländischen Behörden mit vielen anderen deutschen Frauen ein Jahr lang unter unsäglichen Bedingungen in Sumatra interniert, bis sie 1941 zu ihrer Schwägerin nach Japan und Shanghai ausreisen kann. 1946 gelingt ihr die Rückkehr in das zerstörte Nachkriegsdeutschland, wo sie ein Jahr später ihren fast verloren geglaubten Gustav in die Arme schließen kann, der bis 1947 in einem englischen Internierungslager in Indien gefangen war. Einen ihrer Söhne haben sie im Krieg verloren. Claire und Gustav bauen sich ein neues bescheidenes Leben auf im Nachkriegsdeutschland.
Nach Gustavs Tod – mit 83 Jahren- beginnt Claire ihr Leben und die Geschichte ihrer Liebe aufzuschreiben. Ihrer Enkelin Nicoline hinterlässt sie einen Koffer voller Manuskripte und Fotos. Und die hat das Material ihrer Großmutter gesichtet und daraus ein wunderbares Buch gemacht.
Denn neben dem Thema dieser großen Liebe gibt es viel zu lesen und zu lernen über das Leben der Auslandsdeutschen dieser Jahre in Sumatra, Japan und Shanghai, ihr Selbstverständnis und ihre Illusionen über sich und die Welt um sie herum. Auch Claires „Paradies“ in Sumatra ist ein spätkoloniales Idyll: Obwohl Claire und Gustav zu ihren Hausangestellten ein gutes Verhältnis haben, ihr privates Glück erleben sie als integrierter Teil der Parallel-Gesellschaft der weißen Kolonialeuropäer, die sich hier vor exotischer Kulisse mit hemdsärmeliger Energie eingerichtet haben und mit den Einheimischen nur so viel herablassenden Kontakt pflegen, wie diese als billige Arbeitskräfte benötigt werden.
Entlarvend auch die ungeschönte Schilderung des Umgangs der Kolonialeuropäer untereinander und ihre Unfähigkeit, den politischen und gesellschaftlichen Wandel in der einheimischen Bevölkerung wahrzunehmen, die die koloniale Herrschaft nur noch mühsam hinzunehmen bereit ist. Nur so ist zu erklären, dass die einheimische Bevölkerung die Eroberung des indonesischen Archipels durch die Japaner zunächst nicht als neokolonialen Beutezug erlebt, sondern als Befreiung begrüßt. Auch Claire und Gustav müssen im Lauf dieser Jahre leidvoll lernen, dass mit der Kriegskatastrophe nicht nur ihr Besitz verloren, sondern auch ihre alte Kolonialwelt untergegangen ist. Dass sie das irgendwie überleben können, verdanken sie der Kraft ihrer wunderbaren Liebe zueinander.
Das Buch reiht sich ein in die Reihe der Bücher und Dokumentationen, die in diesen Tagen erscheinen, in denen Deutsche als Opfer des 2. Weltkrieges über ihr Leid, und das ihnen zugefügte Unrecht zu erzählen wagen. Claire Hake tut das in bemerkenswert offener Weise, ohne die Schuld einfach bei den anderen zu suchen. Ein unbedingt lesenswertes Buch !
KS, Januar 2011
Ein weiterführender Link: http://www.gaebler.info/2012/08/van-imhoff/
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Claire Hake: Mein geteiltes Herz, Verlag Wunderlich, 2010
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